Aufgrund der jüngsten Entwicklungen, der technologischen Innovationen und der darauf folgenden Marktsituation im Wandel öffnet sich DolmetscherInnen ein ganz neuer beruflicher Horizont: Das Online-Dolmetschen. Diese Dolmetschart stellt in kleinem Rahmen, wie bei meinem Dolmetscheinsatz, eine mögliche Alternative zu den traditionellen vor Ort-Einsätzen dar, mit der die Kunden mit den Gesprächspartnern reibungslos kommunizieren können, ohne dass der Dolmetscher körperlich präsent sein muss.
Mein italienischer Auftraggeber befand sich in Holland und wollte den Leiter des niederländischen Unternehmens Cofora treffen, das sich im Bereich Erkennung und Bewertung erworbener Kompetenzen stark engagiert. Das war der perfekte Rahmen für eine kleine Online-Konferenz, damit sich die Gesprächspartner kennenlernen und vorstellen konnten und die Basis für eine künftige Zusammenarbeit geschaffen werden konnte. Die Sprachkombination für diese Online-Dolmetschung war Deutsch <> Italienisch, da zum Glück der Leiter von Cofora zweisprachig Niederländisch und Deutsch aufgewachsen ist. Zu den Hauptthemen des Gesprächs zählten: die individuelle Vorstellung und die Präsentation vom eigenen Background seitens der Gesprächspartner, die Erklärung des von Cofora experimentierten VPL-Modells zur Bewertung der erworbenen Kompetenzen in den Niederlanden, die Situation und die Probleme in Italien und die Möglichkeit, dieses Modell auch in Italien umzusetzen.
Über Skype war ich in der Lage, die zwei Gesprächspartner in den Niederlanden zu erreichen und mithilfe des Videos zu sehen. Die Ton- und Bildqualität war gut und ich konnte gemütlich zuhause sitzen, ohne die lange Reise unternehmen zu müssen. Wenn die Tonqualität gut ist und keine Probleme bei der Internetverbindung bestehen, kann das Online-Dolmetschen eine gute Alternative und eine Abwechselung im Alltag der Dolmetscher darstellen. Sie ersparen sich die Reise und den damit verbundenen Stress und die Kunden Zeit und Geld.
Das Thema war sehr interessant und vor allem der Austausch von Erfahrungen in Italien und den Niederlanden, die jedoch vor einem gemeinsamen Hintergrund und aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen entstanden sind. Die heutzutage schwierige Situation am Arbeitsmarkt und eine immer instabilere und sich ständig wandelnde Beschäftigung führen nämlich zwangsläufig dazu, dass die Individuen verstärkt die eigenen erworbenen Kompetenzen nachweisen und “kapitalisieren” müssen. Der Wert des Einzelnen muss mit der Rolle des Unternehmens interagieren. Aus diesem Grund ist ein Modell zur Bewertung der erworbenen Kompetenzen, das sich zum Ziel setzt, die zwei Systeme zu integrieren und gleichzeitig die individuellen Kompetenzen aufzuwerten, von großer Bedeutung.
In Europa spielt das Thema Bewertung von Erlerntem und Transparenz der Qualifikationen eine zentrale Rolle bei den Strategien zur Entwicklung und Aufwertung der formalen und nicht-formalen bzw. individuellen erworbenen Kompetenzen, um die heutige Lern- und Wissensgesellschaft zu unterstützen. Mit der Einführung des EQR (Europäischer Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen) sollen beispielsweise u.a. „Zugang zum und die Teilnahme am lebenslangen Lernen […] und die Nutzung von Qualifikationen auf nationaler und auf Gemeinschaftsebene gefördert und verbessert werden“. Außerdem soll der EQR zur „Brückenbildung zwischen formalem, nicht formalem und informellem Lernen dienen und auch zur Validierung von Lernergebnissen, die durch Erfahrungen erlangt wurden, beitragen.“
In den Niederlanden wurde bereits seit einigen Jahren ein Wandel der Bildungs- und Ausbildungssysteme durch die Einführung des sogenannten VPL-Modells (Validation of Prior Learning) in Gang gesetzt. Unter VPL versteht man Modelle für die Bewertung von Erlerntem aus allen Lebensbereichen. Ziel ist die Identifizierung von sowohl formal als auch nicht-formal und informell erworbenen Kompetenzen. Dieses Modell legt besonderes Augenmerk auf die Motivation des Einzelnen und fördert die individuelle Weiterentwicklung. Damit verstärkt sich das Bewusstsein der Menschen in Hinblick auf eigene bereits erworbenen Kompetenzen und sie können so ihr Potenzial verstärkt nützen. (Mehr zum Thema VPL)