Das Wetter ist sonnig und mild, die ersten zarten Knospen sprießen. Das ist eine gute Gelegenheit, den wohl berühmtesten Ausblick der Stadt Wien – vom Belvedere aus, wie im namensgebenden Gemälde von Bernardo Bellotto – im Original zu genießen.
Im Belvedere kann man nicht nur die bedeutendste Sammlung österreichischer Kunst besichtigen, die 800 Jahre Kunst in Österreich vom Mittelalter bis zur Gegenwart umfasst, sondern sich einen Sammlungsführer im Museumsshop holen. Dieser steht in vielen Sprachen zur Verfügung und informiert natürlich auch das italienische Publikum bestens.
Besonders freut mich, dass ich bei der italienischen Version dieses Führers mitarbeiten durfte.
Versuchen wir uns nun kurz in einen Besucher hineinzuversetzen, der den Sammlungsführer des Belvedere gekauft hat und damit durch die zwei Schlösser, den prachtvollen Garten und die Ausstellungen spaziert.
Durch meine Übersetzung erzähle ich ihm die bewegte Geschichte des Bauherren dieser Residenz, des Prinzen Eugen von Savoyen. Mit meinen Worten begleite ich ihn und bringe ihm ausgewählte Meisterwerke der mittelalterlichen bzw. barocken Sammlung näher. Vom Klassizismus bis zum Impressionismus erkläre ich die wichtigsten historischen Hintergründe der Kunstbewegungen und weise durch die Übersetzung auf wichtige Details der im Sammlungsführer beschriebenen Gemälde hin. Vor den berühmten Werken von Klimt und Kokoschka sollte der Besucher kurz innehalten, um diese Meisterwerke auf sich wirken zu lassen und vielleicht auch die eine oder die andere im Text enthaltene Erklärung und Deutung auf dem Gemälde zu entdecken.
Gut übersetzen zu können ist in meinem Beruf nicht bereits das Endprodukt der Arbeit, sondern viel mehr eine vieler Komponenten. Da die Qualität oft schwer einzuschätzen ist, gibt es auch ein paar andere Hinweise, die verraten, ob eine Publikation nicht nur gut übersetzt wurde, sondern auch formell die gestellten Ansprüche erfüllt.
Ein Text kann sich gut lesen, sogar wie ein Original, aber die fachspezifische Terminologie muss auch stimmen. Unabhängig davon, ob unser Leser ein Kunsthistoriker ist oder nicht, müssen die Begriffe mit Fachwissen richtig übersetzt werden. Eine gemalte Scheinarchitektur heißt auf Italienisch quadratura und Kunstkammerobjekte sind oggetti da cabinet. Alles hat seinen Namen. Da hilft oft kein Wörterbuch bzw. keine Internetrecherche, sondern nur jahrelange Arbeit an fachspezifischen Texten und/oder ein einschlägiges Studium.
Große Aufmerksamkeit sollte auch guten typographischen Richtlinien geschenkt werden. Es gibt mehrere Ansätze: Sollen die Eigennamen der Institutionen übersetzt oder in Originalsprache belassen werden; was wird in Klammern gesetzt und was wird kursiv geschrieben? Auch die Groß- und Kleinschreibung muss bedacht werden. Man sollte sich hier nicht von der deutschen Schreibweise beeinflussen lassen. Viele Verlage stellen daher eigene Style Guides zur Verfügung. In Ermangelung dieser muss sich der Übersetzer selbst in Übereinstimmung mit dem Kunden einige Kriterien überlegen bzw. eigene Richtlinien herausarbeiten. Es ist wichtig, eine Linie festzulegen und diese konsequent in der Publikation und Folgepublikationen derselben Institution zu verfolgen.
Ja, ich muss es offen aussprechen: Zwei Augen reichen definitiv nicht, auch mit vier Augen kann einiges übersehen werden. Das soll kein Tabuthema sein: Publikationen brauchen mehrere Durchläufe bis sie wirklich druckreif sind. Ein einziger Übersetzer reicht nicht, denn aufgrund der oft knappen Deadline ist es schwer, die nötige Distanz zum Text zu gewinnen.
Trotz meiner langjährigen Erfahrung mit Übersetzungen und Texten in diesem Bereich finde ich es sehr wichtig, mit Experten aus der Branche zusammenzuarbeiten, die den Text nochmals lektorieren und noch mehr auf die fachspezifische Terminologie und Inhalte eingehen. Für dieses Projekt habe ich mit einer Kunsthistorikerin zusammengearbeitet, die sowohl aufgrund ihrer Ausbildung und ihrem Beruf (Studium und Promotion im Fach Kunst; Mitarbeiterin der Galleria Sabauda Turin) als auch wegen ihres Forschungsschwerpunkts „Gemäldesammlungen des Prinzen Eugen“ eine starke Kooperationspartnerin war und gleichzeitig einen unschätzbaren Mehrwert für das Übersetzungsprojekt darstellte. Das kann man kaum übertreffen.
Wenn wir uns nun die anfängliche Frage noch einmal stellen, dann lautet die Antwort definitiv nein. Die Übersetzung ist viel mehr als ein gut formulierter Text. In diesem Fall wird diese selbst zu einem Gesamtkunstwerk, das durch künstliche Intelligenz in keinster Weise so angefertigt werden kann. Nur durch ein Team, das verschiedene Kompetenzen vereint und vielleicht auf den ersten Blick unsichtbar erscheinen mag, aber auf den zweiten, vielleicht aufmerksameren Blick durch diese kleinen, aber signifikanten Details seine Sichtbarkeit sehr gut unter Beweis stellt, wird solch eine Arbeit erst möglich.
Überprüfen Sie doch das nächste Mal, wenn Sie einen Ausstellungskatalog durchblättern, wie viele Augen beim Projekt mitgelesen haben! 😀
Viel Vergnügen!